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TEGERFELDEN

«Ohne Ehrlichkeit geht es nicht»

Für Erwin Baumgartner, Geschäftsführer und Mitinhaber der Heinz Baumgartner AG, war schon früh klar, dass er die Regelung seiner Nachfolge rechtzeitig angehen wollte. Der Übergabeprozess ist noch nicht abgeschlossen, aber weit fortgeschritten. Im Interview berichtet er von seinen Erfahrungen.
Gewerbezeitung Interview Erwin Baumgartner
Ist die Frage der Firmenübergabe vor fünf Jahren proaktiv angegangen: Erwin Baumgartner, Geschäftsführer und Mitinhaber der Heinz Baumgartner AG.
Foto: Thomas Färber

«Die Übergabe eines Unternehmens gehört zu den komplexesten Aufgaben im Berufsleben eines Chefs oder einer Chefin» – eine Aussage, die in der Juni-Ausgabe des AGV-Branchenmagazins «Aargauer Wirtschaft» nachzulesen ist. Das Heft ist längst nicht der einzige Ort an dem von «Nachfolgeregelung» die Rede ist. Das Thema ist in der KMU-Welt allgegenwärtig.

«Grundsätzlich überfordert» ist ein anderer Titel, den man zum Thema lesen kann. Eine Unternehmensübergabe erfordert viel Fingerspitzengefühl, in einem Familienunternehmen sowieso. Die Involvierten sind dort nicht nur beruflich, sondern auch familiär miteinander verbunden. Einige, wie die Familie Leibinger-Kammüller, die Eignerfamilie des Maschinenbauers Trumpf, regeln die Nachfolge über eine Familienverfassung, auch Familiencharta genannt. Die nachkommende Generation entscheidet dort im Alter von 16, ob sie in das Familienunternehmen einsteigen möchte oder nicht. Andere Familienunternehmen gehen den gegenteiligen Weg und legen gar nichts fest – was auch zu Nebengeräuschen führen kann. 

Erwin Baumgartner, vor wenigen Wochen 60 geworden und nach wie vor zu 100 Prozent in der Heinz Baumgartner AG als Geschäftsführer tätig, hat sich für einen dritten Weg entschieden: Eine strukturierte und durch einen externen Coach begleitete Übergabe, im Rahmen derer die Bedürfnisse aller Involvierten so gut als möglich abgeholt werden. Er hatte sich selbst gesagt, dass er die Firmennachfolge frühzeitig angehen möchte.  Gleichzeitig hat er in einem unterzeichneten Dokument festgehalten, dass er spätestens im Alter von 70 alle Aufgaben und Verantwortlichkeiten abgegeben haben möchte. 

Erwin Baumgartner, Studien zeigen, dass die Regelung der Nachfolge häufig spät oder gar zu spät in Angriff genommen wird. Das kann man in Ihrem Fall nicht behaupten. Wann haben Sie sich zum ersten Mal mit dem Thema auseinandergesetzt? 

Durch meine Aktivitäten in den Gewerbevereinen, im Vorstand des Aargauischen Gewerbeverbandes, als Unternehmer und als Grossrat bin ich dem Thema Unternehmensnachfolge immer wieder begegnet. Wo Vertreter von KMU zusammenkommen, wird darüber gesprochen. Grundsätzlich wird geraten, die Regelung der Nachfolge frühzeitig anzugehen. Ich habe schon früh den Entschluss gefasst, dass ich die Unternehmensnachfolge im Alter von 55 Jahren angehen möchte. 

Haben Sie daran festgehalten?

Ja, das habe ich. Als ich den Entschluss ursprünglich fasste, waren meine Söhne bereits im Unternehmen tätig, mit dem Gedanken an eine Betriebsübernahme haben sie sich zu diesem Zeitpunkt aber noch nicht befasst. 

Wie sahen Ihre ersten Schritte aus?

Zuerst wollte ich die Unternehmensnachfolge selbst an die Hand nehmen. Es gab eine erste Besprechung mit meinen Söhnen Raphael und Dominik. Ich habe ihnen die «Hausaufgabe» gegeben, darüber nachzudenken, welche Aufgaben sie künftig übernehmen wollten im Betrieb. Wir haben vereinbart, uns vier Wochen später wieder darüber zu unterhalten. Die Aufgabe hat grosse Emotionen geweckt, und viele Fragen ausgelöst. Im ersten Moment war es für alle eine Überforderung. Kaum angestossen, stand der Prozess ein erstes Mal an. Das Thema Nachfolge verschwand eine Zeitlang wieder aus unserem Blickfeld. 

Wann wurde es wieder aktuell?

Ein Triggerpunkt war eine Weiterbildung der HSG zur Arbeit in Verwaltungsräten, die ich 2022/23 besuchte. Das Thema der Weiterbildung lautete «Neue Strukturen in Verwaltungsräten». Wir trafen uns jeweils in Kloten, am Freitagabend, zwischen 17 und 22 Uhr. Ungefähr 100 bis 120 Personen in Führungsfunktionen. Das Format mit eingebautem Abendessen ermöglichte einen guten Austausch unter den Teilnehmenden. Ich spürte, dass ich nicht der Einzige war, der sich mit der Nachfolgeregelung auseinandersetzte – und ich erhielt einen guten Tipp. Mir wurde ein viertägiges Seminar zum St. Galler Nachfolgemodell empfohlen. Nachdem ich Referenzen ehemaliger Teilnehmer eingeholt hatte, meldeten wir uns für diesen Kurs an. Wir, das waren meine Söhne Raphael und Dominik, meine Schwester Agnes, die am Betrieb ebenfalls beteiligt ist und in der Geschäftsleitung mitwirkt, und ich. Dieses Seminar war eine Art offizieller Startschuss. Ziel des Kursbesuchs war unter anderem, dass wir alle auf einen vergleichbaren Informationsstand in Sachen Nachfolgeregelung kommen, und danach wissen, wie die nächsten Schritte aussehen könnten. 

Welche Take-aways aus dem Seminar gab es?

Worauf wir im Kurs in verschiedenen Zusammenhängen immer wieder zurückkamen, waren drei Worte: wollen, können, dürfen. Das Wollen steht in Zusammenhang mit der Frage, die sich der Übergeber und die Übernehmer stellen müssen: Will ich die Firma übergeben respektive übernehmen? Das Können steht für zwei Aspekte: Erstens, ob eine Übergabe von der Finanzierung her stemmbar ist. Zweitens, ob die, die übernehmen, wie soll ich sagen, über die fachlichen Kompetenzen verfügen, die notwendig sind, um den Betrieb weiterzuführen. Mit dem Dürfen ist gemeint: Ist das Umfeld mit der Übergabe einverstanden? Diese Frage haben sich sowohl die Vertreter der übergebenden als auch der übernehmenden Generation zu stellen. In unserem Fall hatte einerseits ich mit meinen Geschwistern und deren Nachkommen sowie mit meiner eigenen Familie zu klären, wie sie zu einer Übernahme der Firma durch unsere Söhne Raphael und Dominik stehen. Andererseits hatten Raphael und Dominik in ihrem Umfeld und mit ihren Partnerinnen zu klären, ob ein solcher Schritt unterstützt wird. Wer eine Firma übernimmt, ist angewiesen auf einen Partner oder eine Partnerin, die hinter dem Unterfangen steht. Schon nur dieser Aspekt zeigt, wie vielschichtig eine Unternehmensnachfolge ist. Ein weiteres Take-away aus dem Seminar war: Für unseren Übergabeprozess wollten und mussten wir auf einen externen Coach setzen.

Kurse zur Nachfolgeregelung gab es früher nicht. Wie haben Sie die Geschäftsübergabe durch Ihren Vater erlebt?

Es gab keinen Moment, in dem sich Vater mit uns Kindern an einen Tisch gesetzt hat und wir die Frage der Nachfolge besprochen haben. Wir sind ganz natürlich eingestiegen in den Betrieb, ohne dass es gross ein Thema war. Mein Bruder Markus im Jahr 1978, mein Bruder Stefan 1985 und ich 1987. Meine Schwester Agnes einiges später, 2002. Vermutlich wären wir Kinder sogar frei gewesen in der Berufswahl, vielleicht war es aber auch vorgespurt, das ist schwierig zu sagen. Sicher ist: Wir sind in den Job hineingewachsen und haben mit der Zeit mehr und mehr Aufgaben übernommen. Als die Heinz Baumgartner AG um die Jahrhundertwende den Neubau an der alten Zurzacherstrasse realisierte, hatte mein Vater dort die Bauführung inne. Das hat firmenintern automatisch zu einer Verlagerung der Verantwortlichkeiten geführt. Meine Brüder wirkten in der Werkstatt, ich eher in der Administration. Nach dem Umzug stieg meine Schwester im Bereich der Finanzen ein. Ich übernahm die Rolle des Geschäftsführers, mein Vater trat zunehmend in den Hintergrund. 

Sie haben vorher vom Stichwort «wollen» gesprochen. Das eine ist, dass Sie als Geschäftsführer und Mitinhaber frühzeitig an die Nachfolge denken, das andere, dass auch die nachkommende Generation bereit ist für diesen Schritt. Wie spürt man hier den Puls?

Im Kern geht es um die Huhn-Ei-Problematik und die Frage, wer die Initiative ergreifen soll. Natürlich ist am Anfang eines solchen Prozesses eine gewisse Zurückhaltung bei der Nachfolge-Generation spürbar, inzwischen sind wir mittendrin in der Firmenübergabe, und der Drive ist längst ein anderer. Geduld ist ein wichtiges Stichwort, es geht nicht von heute auf morgen. Müsste ich mich aber festlegen, würde ich sagen: Letztlich liegt die Verantwortung beim Patron, beim Firmenchef. Er muss die Initiative ergreifen, er steht in der Verantwortung, die Übergabe anzustossen. 

Für eine Geschäftsübergabe sind Bedürfnisse aufeinander abzustimmen. Wie kommen alle auf den gleichen Nenner?

Reibungsflächen muss es natürlich geben und die gibt es auch. Unter dem Strich braucht es von allen Involvierten ein grosses Mass an Vertrauen und eine gewisse Offenheit; und Ehrlichkeit. Ohne Ehrlichkeit geht es nicht. Alle müssen Haltung zeigen.  

Eine Nachfolgeregelung bindet firmenintern Ressourcen. Wie kreiert man im Daily Business die Freiräume für ein Projekt, wie die Übergabe der Firma?

Das ist einer der Gründe, warum wir entschieden haben, auf einen externen Coach zu setzen. Er hat einen Auftrag erhalten und er ist verantwortlich dafür, dass der Auftrag zeitgerecht umgesetzt wird. Er stupft uns an, betont hin und wieder, dass es jetzt wichtig wäre, diese oder jene Sitzung abzuhalten. Manchmal kommen die mit der Nachfolgeregelung verbundenen Termine dem Alltagsgeschäft in die Quere. Der externe Coach sorgt dafür, dass wir sie trotzdem wahrnehmen. Er hilft uns, das Projekt auf der Prioritätenliste weit oben zu halten. 

Welche Rolle spielt im ganzen Prozess die Kommunikation?

Die Kommunikation war für mich von Anfang an zentral. Durch die längere Zeitbeanspruchung im Nachfolgeprozess gibt es für die Mitarbeiter und speziell die Kader gewisse Unsicherheiten und entsprechende Fragen. Das kann im dümmsten Fall zu Kündigungen führen. Wenn irgendwie möglich, möchte ich das vermeiden. Die Mitarbeitenden und die Kader sollten frühzeitig einbezogen werden. 

Wie funktioniert das konkret, im Alltag?

Unsere Abteilungsleiter sind in der Geschäftsleitung vertreten. Dort informieren wir regelmässig über den Stand der Dinge. Hinzu kommt eine Quartalsinformation, die ich jeweils für alle Mitarbeitenden verfasse. Dort informiere ich immer wieder über den Fortschritt unseres Nachfolgeprozesses, berichte auch mal über neue Entscheide oder einen allfälligen Workshop-Besuch. 

Sind einige Mitarbeitende ganz konkret involviert in den Übergabeprozess?

Tatsächlich sind wir auf Ebene der Kader relativ weit gegangen. Wir haben mit allen Kadermitarbeitenden ein Team-Management-Profil erstellt, um herauszufinden, wer welche Art von Typ und folglich für welche Aufgaben am besten geeignet ist. Zur Vertiefung dieser Profile gab es anschliessend einen Workshop. Das Ziel einer solchen Auswertung ist klar: Wir wollten herausfinden, ob wir im Team der Geschäftsleitung und der Teamleader alle Kompetenzen abbilden, die notwendig sind, um die Heinz Baumgartner AG erfolgreich in die Zukunft zu führen.

Wie fielen die Reaktionen dazu aus?

Auf dieses Involviert-Werden gab es ein positives Echo innerhalb der Kader. Ich bin froh, haben wir es gemacht, denn es ist klar: In den kommenden Monaten wird es Veränderungen geben in unserem Betrieb und das kann Unsicherheiten auslösen. Einige dieser Unsicherheiten konnten wir mit unserem Vorgehen nehmen.

Eine Herausforderung für Nachfolgeregelungen ist meistens auch die Frage der Finanzen. Wie haben Sie das erlebt?

Ich finde, die finanzielle Nachfolge ist letzten Endes eine rein technische Angelegenheit, der einfachste Teil der Nachfolgeregelung. Aber klar: Voraussetzung ist, dass der Unternehmer, der übergeben möchte, seine Altersvorsorge während seiner aktiven Zeit als Unternehmer geregelt hat. Nicht gut wäre, wenn man gezwungen wäre, die Unternehmung zu verkaufen, um seine Altersvorsorge zu sichern. Immer hilfreich ist, wenn man eine gewisse Bescheidenheit pflegt, auch dann, wenn die Unternehmung erfolgreich ist.

Braucht es zur Regelung der Finanzfragen auch eine Begleitung durch Experten?

Ich muss für die Regelung der Finanzen auf eine Vertrauensperson und Fachwissen setzen können. Ebenso wichtig: Ich muss die Finanzfrage frühzeitig angehen. Tatsächlich ist es so, dass sich der Weg durch gesetzliche Regulatorien nur bedingt finden lässt ohne spezielles Know-how. 

Eine Firmenübergabe geht am Unternehmer nicht spurlos vorbei. Ist die Nachfolge für Sie persönlich ein emotionales «Projekt»?

Es ist eine emotionale Angelegenheit für mich. Vielleicht kommt das auf den Typ Mensch an, bei mir ist es aber so. Wie sagt man so schön: harte Schale, weicher Kern. 

Spüren Sie so etwas wie eine Angst, zum Beispiel vor Macht- oder Statusverlust oder davor, irgendwann nicht mehr gebraucht zu werden im eigenen Betrieb?

Das ist für mich gar kein Problem. Ich hatte genügend Gelegenheiten vorne zu stehen. Führen bringt nicht nur Freude, die Aufgabe kann auch belastend sein und ist anspruchsvoll. Selbst wenn etwas im Team entwickelt wird, den Entscheid für ein Go oder No-Go muss der Unternehmer häufig allein fällen. Er trägt die Verantwortung.

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