Wo bis im Frühling 2003 noch Briefe gestempelt, Einzahlungen entgegengenommen und Pakete gewogen wurden, hängen heute viele Uhren an der Wand. Die Rede ist vom ehemaligen Postlokal an der Dorfstrasse 72 in Hottwil.
Seit einigen Monaten hat Anna Stuber, die im Nachbarhaus wohnt, den Raum gemietet. Werkzeuge liegen auf dem Tisch und verschiedene Uhren warten darauf, repariert zu werden.
Uhrmacherin Rhabillage
«Ich wollte etwas Handwerkliches machen», sagt Anna Stuber, wenn sie auf ihre Berufswahl zurückblickt. Dass sich die heute 25-Jährige für die Lehre als Uhrmacherin entschied, hatte auch mit der Uhrenstadt Grenchen zu tun, wo sie aufgewachsen ist. An einem Tag der offenen Tür lernte sie die Uhrmacherschule kennen. Sie bestand die Aufnahmeprüfung und war eine von 14 Lernenden, die pro Jahrgang aufgenommen werden. In der Lehre als Uhrmacherin Rhabillage EFZ stellte sie an der Drehbank selber Werkzeuge her, lernte zuerst grosse Uhren und später kleinere Modelle revidieren und reparieren. Rhabillage bedeutet Instandstellung. Ein Rhabilleur kann – wenn passende Ersatzteile nicht mehr erhältlich sind – auch Teile selber herstellen.
Zur Schule in Grenchen gehört ein Uhrenservice, bei dem Kundinnen und Kunden ihre Uhren vorbeibringen können. Zum Stundenplan gehörte es, dass die Lernenden abwechslungsweise Kundendienst leisteten und dabei Uhren entgegennahmen. «Ich fand das spannend», sagt Anna Stuber rückblickend; wobei damals ein eigenes Uhrenatelier und das Dorf Hottwil im Mettauertal noch in weiter Ferne lagen.
Bauernhof gesucht
In den Aargau gekommen ist Anna Stuber wegen der Liebe. Nach der Lehre absolvierte sie die Rekrutenschule als Hundeführerin in der Kaserne Sand in Schönbühl. Dort lernte sie Daniel Oetiker kennen, der in Siggenthal Station aufgewachsen ist und am gleichen Ort Militärdienst als Hufschmied leistete. Zusammen suchte das junge Paar ein Haus mit viel Platz, denn Oetiker – der sich 2020 bei den SwissSkills den Titel als Schweizer Berufsmeister holte – hat sich inzwischen als Hufschmied selbstständig gemacht. In Hottwil wurden sie fündig. Weil sie auf der Suche nach einem Bauernhof sind, machte Anna zudem die Ausbildung als Landwirtin EFZ.
Momentan arbeitet Anna Stuber noch Teilzeit als angestellte Uhrmacherin in Frick. Am Dienstag- und Freitagnachmittag ist ihr eigenes Uhrenatelier in Hottwil geöffnet. «Am besten bringt man die Uhr vorbei, dann kann ich das Problem vor Ort ansehen», sagt die Jungunternehmerin. Hat sie viele Aufträge, setzt sie sich auch einmal am Abend oder am Samstag ins Atelier. Und wenn nötig, geht sie bei der Kundschaft vorbei, zum Beispiel um das Werk einer grossen Standuhr auszubauen und später wieder einzusetzen.
Nostalgisches Ticken und Stundenschlag
Obwohl heute viele Leute keine Uhr mehr am Handgelenk tragen – oder bloss eine Smartwatch – geht Anna Stuber die Arbeit nicht aus: «Ein Kunde, der etwa 100 Uhren besitzt, ist schon ein paar Mal vorbeigekommen und ich konnte für ihn verschiedene Teile besorgen», erzählt sie. Manche stammten aus dem Lager, das sie sich besorgt hat. Um an rare Ersatzteile zu gelangen, seien gute Beziehungen hilfreich.
Immer wieder bringen Kunden Erbstücke vorbei, zum Beispiel die Pendule, die ihre Eltern oder Grosseltern einst zur Hochzeit erhalten haben. «Solche Stücke haben oft einen grossen emotionalen Wert», sagt Stuber, schon nur, weil das Ticken oder der Stundenschlag an den Besuch bei der längst verstorbenen Grossmutter oder allgemein an frühere Zeiten erinnerten.
Vollzeit als selbstständige Unternehmerin zu arbeiten hat Anna Stuber im Moment nicht geplant. Ihr Ziel ist es, als Ergänzung zur Landwirtschaft weiter ein Uhrenatelier zu betreiben.







